«Wieviel kommen noch bei Ihnen am Sonntag?»

Burghard Förster, Pfarreileiter in Aarau

«Neben den traditionellen Eucharistiefeiern bietet der Pastoralraum eine Vielzahl wunderbar und menschennah gestalteter Feiern und Gottesdienste», schreibt Burghard Förster.

Ich wollte eigentlich einen Artikel schreiben, warum sich in den Gottesdiensten in unseren Kirchen, besonders in unserem Pastoralraum in den letzten Jahren einiges verändert hat. Stelle ich fest: Die Gottesdienstbesuche und Anfragen für sakramentale Feiern (Taufen, Abdankungen, Trauungen…) gehen spürbar und tatsächlich zurück, höre ich gleich wieder Stimmen, die dagegenhalten: Bei uns kommen sie, die traditionsbewussten Katholiken:innen. Aber ist das der Massstab? Sollen die Kirchen voll sein? Egal, was sonst in den Pfarreien passiert?

Mein Argument ist dann, wenn diskutiert wird, nicht selten folgendes: Vor gut 100 Jahren waren die Kirchen voll, 99 Prozent der Bevölkerung waren reformiert oder katholisch. Von Muslimen sprach niemand, und doch hatten wir zwei Weltkriege und die Shoa (den Holocaust), das ganze Leid, die Diktatur in Deutschland, und all die Folgen der Spaltung in ein westlich marktwirtschaftlich orientiertes Europa auf der einen und das kommunistische System auf der anderen Seite, mit all den bekannten Folgen von Unterdrückung und Freiheitsentzug im Osten, und den zunehmenden Materialismus und Traditionsverlust im Westen.

Die Kirchen werden sich nicht mehr füllen, wie es war, als wir am Sonntag in die Kirche gehen mussten, weil die Familie, die Tradition, die – im heutigen Deutsch: community – das eben forderte. Auch mit Notzeiten zu rechnen «wenn es den Menschen schlecht geht, kommen sie wieder in die Kirche» ist aus meiner Sicht zynisch. Ich möchte beides nicht, Leid oder Pflicht als Motor und Motivation, am Sonntag in die Kirche zu gehen.

Wo stehen wir heute? Zwei Aussagen in der vergangenen Woche zeigen ein wenig, wo. Als ich einem Herrn im Altersheim die Kommunion reichen wollte, fragte er, ob sie auch ohne vorgehende Beichte gültig wäre. Oder die Aussage von Taufeltern, dass sie schon glauben, aber nicht unbedingt an den Gott der Kirche, ob sie trotzdem taufen könnten, einfach es sollte nicht so «steif» und «katholisch» sein.

Unsere Pfarreien haben längst reagiert. Neben den traditionellen Eucharistiefeiern bietet unser Pastoralraum eine Vielzahl wunderbar und menschennah gestalteter Feiern und Gottesdienste, für Kinder, Jung und Alt, offen für neue Formen, ob an den Familiensamstagen in Aarau, den Feiern am Tisch oder generationsübergreifend in Suhr oder die vielseitige Gestaltung von Feiern an Weihnachten und Ostern in Schöftland, Entfelden, Buchs, Suhr und Aarau.

Vielleicht erreichen wir damit nicht mehr alle. Aber das ist sicher: Niemand kommt, weil er muss oder um nur für sich etwas «abzuholen». Gesellschaftliche und selbstkritische Fragen werden nicht ausgeklammert. Es wird das Evangelium in unsere ganz konkreten Leben hineingesprochen und gefeiert, so dass es nachhallt und im Alltag weiter-gelebt wird, weiter eben als nur bis zur Kirchentür.

Eine volle Kirche macht noch keine bessere Gesellschaft. Wenn die Feier zu Herzen geht, Menschen persönlich angesprochen und ermutigt werden, werden wir zu Verkünder:innen des Lebens, das uns in den Feiern durch Gebet, Brot, Gemeinschaft und Mitgefühl mit der Welt kraftvoll geschenkt wird.

Danke, wenn Sie bis hierhin den Gedanken gefolgt sind. Zum Ende eine Einladung: Wenn Ihnen die Kirche, die christlichen Werte wichtig sind, Sie einen Ort fürs Danken, Nach-Denken und gemeinschaftliches Feiern von Gottes Wort und Antwort suchen – nehmen Sie teil und bleiben Sie Teil, gestalten Sie mit. Kirche ist so gut und schlecht, wie es die Menschen sind, die mittragen, ob angestellt oder freiwillig, als Gast oder zahlendes Mitglied.


7. August 2025 | Burghard Förster