Den Sommer anfangen – ich wünsch euch was!
Der Sommer fing bereits am 1. Juni an – der Jahreszeit nach. Dann sein astronomischer Beginn: 21. Juni – der längste Tag des Jahres. Und schon werden die Tage wieder kürzer. Die Ferien haben begonnen: Den Sommer anfangen! Wir rennen mehr der Erholung hinterher als dem guten Leben und schnaufen in heißer Luft. Die Jünger:innen damals, als sie Jesus aussandte, hatten Frieden im Gepäck – vermählt mit Gerechtigkeit. Wie viel Sehnsucht werden wir aus den Ferien nach Hause mitbringen?

An der Ostsee im Sommer 2023. (Foto: P. Bernd)
Ehrlich gesagt, in den letzten Jahren war ich sehr schlecht in Wirklich-Ferien-machen und ganz etwas anderes tun, im „die-Seele-baumeln-Lassen“, wie alle sagen. Ferienzeit 2025. „Sommer anfangen“ ist das Thema dieser wenigen Minuten meiner kleinen Rede. Und ich bin schon mitten drin, es zu vergeigen, indem die Erinnerung an wenig erholsame Ferien sich in den Vordergrund drängt: 2024, 2023, 2022…
Da stehen wir bei der verplanten Zeit, den verpatzten Ferien, dem enteilenden Leben und den inzwischen noch kürzer werdenden Tagen; eine Revolution hat es natürlich seitdem auch nicht gegeben, obwohl mehr als eine nötig wäre. Sommer anfangen. Die Tage werden schon wieder kürzer. Das Leben rennt. Walter Benjamin hat den schönen Satz gesagt: „Zum Denken gehört nicht nur die Bewegung der Gedanken, sondern auch ihre Stillstellung.“ Macht Ihr das auch hin und wieder: Einfach mal die Gedanken still zu stellen; sich zu einem Glas Wein hinzusetzen, oder im Sessel sitzend eine Zigarre anzuzünden oder Zigarette draußen oder einen Cognac zu nehmen oder irgendetwas in der Art? Den Kaffee im Café auf der Terrasse und da ist noch eine oder sind zwei… am Tisch. Den Wein dort, wo die Luft frei ist, weil gute Menschen an den Tischen sitzen, diskutieren, Hirngespinste spinnen, auf Gedanken kommen… Und eine rauchen. Nein, das macht ja keine:r mehr.
Sophie Scholl und ihr Bruder Hans und Christoph Probst teilten eine Zigarette in den Minuten vor dem Fallbeil, das ihrem jungen Leben ein Ende machte. Und ihr kurzes Leben bringt uns heute noch auf Gedanken. So gut. Sie haben Texte gelesen und Gedichte erdacht, einander geliebt, auf dem Rad gejohlt und im Theater sehen gelernt, an der Isar den Wein geleert, die Bibel gekannt und die Sommer gelebt.
Die Stilllegung der Gedanken, die Zigarette, der Wein in der Runde, der beste Kaffee der Stadt. Die Karikatur, die ich mitgebracht habe, spricht für sich.
Kaum etwas bringt das Leben von Menschen mehr voran als Unterbrechnungsriten. Sommer und Sehnsucht! Wir hätten eigentlich sogar jede Woche einen ganzen Tag als Unterbrechung und Einladung, auf ganz andere Gedanken zu kommen. Der Sonntag ist doch nicht der Tag zum Ausruhen von der Arbeit für die Arbeit der nächsten Woche. Er erinnert an eine Revolution. Und daran, dass es für alle gut sein soll.
Der Wiener Philosoph Robert Pfaller hat einmal in einem Interview auf die Bedeutung der Unterbrechungsriten hingewiesen: Man fühlt sich für eine Zeit als Mensch; man merkt, dass man nicht nur Arbeitstier ist; dass diese zeitlichen und räumlichen Refugien wichtig sind; dass dieses Stillstellen der Gedanken und des alltäglichen Trottes, diese lebensvolle Lust am Geschmack miteinander verbindet und der gute Boden für ganz neue Gedanken sein können. Eine Gesellschaft, die ihre Unterbrechungsriten liquidiert, laufe nicht nur Gefahr, eine Reihe neuer Krankheiten auszubilden, sondern merze die kleinen Refugien aus, wo Menschen sich souverän fühlen können, „wo sie eine bestimmte Würde, Eigenwilligkeit oder auch Renitenz ausbilden können“. Diese pseudomoralische Verschiebung zum ‚Was ,du rauchst noch?’, nennt Robert Pfaller asozial, entsolidarisierend und entpolitisierend. Hört her!
Um die Welt wirklich zu verändern, müssten wir schon ein bisschen böser werden. – Veränderung beginnt mit der Fähigkeit, zu unterbrechen – das Denken, den Alltag, das Übliche, das angeblich Moralische… Das Evangelium schildert den Beginn der großen Geschichte, die sich zwischen Jesus und seinen Jünger:innen entwickeln wird, als Unterbrechungsritus. Die Gruppe der Fischer ist einen ganzen Tag bei Jesus. „Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm.“ Wen interessiert da Arbeitsmoral? Die Jesusgeschichte beginnt mit einer Unterbrechung. Und geht weiter mit diesem Unterwegs-Sein mit Frieden als Gepäck.
Ich will im Sommer gerne eine Zigarette teilen, obwohl ich ja Nichtraucher bin. Den Wein unter freiem Himmel an der Ost- und der Nordsee trinken. Und mit anderen sein. Immer ein Buch dabei; vielleicht eines von denen, die ich mal bei Jos Fritz in Freiburg eingesteckt habe. Den Sommer anfangen. Die Tage werden schon wieder kürzer. Aber das Leben nie. – Es ist Sommer, ich wünsch euch was.
1. Juli 2025 | Peter Bernd
Interessante Gedanken.