Martha und Maria beim feministischen Streik

Bild: © Feministischer Streik

Viele kennen noch die Geschichte der beiden Schwestern Martha und Maria im zweiten Testament. Und manche, vor allem Frauen, haben keine gute Erinnerung daran. Salopp gesagt: Entweder Martha, also Heimchen am Herd, oder Maria, also Klosterfrau – betend, betrachtend, dienend im viel bemühten Schoss der Mutter Kirche. Passt gut zum Patriarchat in Gesellschaft oder Kirche: Hausfrau, Kindermutter oder dem männlichen Klerus zudienende Nonne.

Wie die Geschichte oft gedeutet wird, so wird sie meistens zuvor in deutschen Übersetzungen des Lukasevangeliums erzählt: Jesus ist zu Gast bei den beiden Schwestern. Maria setzt sich zu den Füssen Jesu hin und hört ihm zu, während Martha viel zu schaffen hat, die Anwesenden bedient und schliesslich die Mithilfe Marias einfordert. Jesus aber weist ihr Ansinnen zurück: Sie mache sich zu viel Mühe. Maria habe den guten Teil erwählt, der ihr nicht genommen werden soll. – Zu guter Letzt auch noch eine Rangfolge von Frauenrollen im patriarchalen Gefüge?

Gerne frage ich bei Luzia Sutter Rehmann nach, Theologieprofessorin in Basel. Sie hat neulich eine andere und überzeugende Deutung des Bibeltextes gegeben, die die bekannten Muster von Rollenzuweisungen über den Haufen wirft.

Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass an der Seite der beiden Frauen kein Mann genannt wird. Marthas Name bedeutet «Herrin». Und das ist sie. Sie entscheidet darüber, wer ins Haus kommt. Und es heisst: Sie «stellte sich hin». Sie steht für das, was sie denkt und sagt. Der Name ihrer Schwester Maria wiederum geht zurück auf die Prophetin Mirjam, der Schwester Moses und Aarons, in der Zeit der Befreiung aus der Sklaverei. Zur Zeit Jesu, der Zeit der römischen Besatzung, war der Name sehr, sehr häufig, denn mit ihm sollte Widerstand und Hoffnungskraft ausgedrückt werden. Ihrer beider Namen sagen: Es geht um selbstbestimmte Frauen. Damit schon ist eine frauengerechte Lektüre des Textes geboten. Und dieser Weise des Bibellesens fällt auf, wie zu übersetzen wäre: Statt «Martha machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen» geht es bei der Frage Marthas um «den grossen Dienst». Das beschäftigt sie. Das ist etwas ganz anderes und führt geradewegs in die Herausforderung einer spannungsgeladenen Zeit. Beim «grossen Dienst» geht es um alles, was die Evangelien erzählen: heilen, solidarisch sein, sich für Gerechtigkeit einsetzen, Brot zu teilen, auf der Seite der Ausgebeuteten zu stehen. Also nicht Hausarbeit, Frauen, die bedienen, sondern solche, die heilen und lehren! Marthas Frage nach dem grossen Dienst schliesst sich an die des Schriftgelehrten an, der in der Szene vorher fragte: Wer ist mein Nächster? Und dem gesagt wird: Der verwundete, fliehende, fremde «Irgend-wer», der mir in den Blick kommt. Martha führt das rabbinische Lehrgespräch über das höchste Gebot weiter!

Und nicht unerwähnt bleiben soll ein zweiter Übersetzungsfehler, auf den Sutter Rehmann hinweist. Statt «meine Schwester lässt mich allein dienen» sollte formuliert werden: «Meine Schwester, sprich Maria, verlässt mich, um zu dienen.» Maria sucht im Hinblick auf den grossen Dienst ihren eigenen Ort und Weg, der sie aus dem Haus ihrer Schwester wegführen wird. Ein anderer Dienst in der gleichen Sache der Gemeinde. Ein Konflikt mag dahinterstehen und der Schmerz, dass sich etwas verändert, auch die familiären Bande. Das griechische Wort, das hier steht, wird auch gebraucht in dem Satz «Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen». Maria will quasi aus dem Team der beiden Schwestern aussteigen, ihren eigenen Teil am «grossen Dienst» finden. Trauer und Not Marthas stehen da, aber auch, dass sie das reflektiert. Sie fragt ernsthaft und theologisch als Toraschülerin: Wie gestalten wir Beziehungen, dass sie gut und gerecht werden?

Beide Frauen stellen sich der «Sache Jesu», der Tradition des Widerstandes für das Recht jedes Menschen, sind weder schimpfende Hausfrau noch angehende Klosternovizin. Aber in der Nachfolge des «grossen Dienstes» fänden wir beide, Martha und Maria, beim anstehenden feministischen Streik, Jesus vermutlich auch. Da, auf der Strasse, ist am 14. Juni viel Platz für «feminine, maskuline und queere» Christenmenschen. – In die Kirche geht’s dann tags drauf am Sonntag.

Frauenstreik Aarau
13.00 Uhr Kundgebung auf dem Bahnhofplatz Aarau (bewilligt), Moderation: Mia Jenni Reden: Lelia Hunziker, Elife Biçer, Meli Del Fabro Anschliessend gemeinsam nach Zürich 13:53 Uhr RE37 ab Aarau 14:22 Uhr Zürich HB an 15.00 Uhr Start Demo Zürich

Demo zum Feministischen Streik in Zürich
14.00 Uhr Besammlung an der Rudolf-Brun-Brücke
15.00 Uhr Demo-Start, danach Schlusskundgebung auf dem Ni Una Menos-Platz

3. Juni 2025 | Peter Bernd