Ausschnitt eines gedruckten Leporellos der Gesamtschau der Apokalypse des Schweizer Malers Anton Mutter.  (Foto: P. Bernd)

Revolution im Himmel

Was heisst schon «wie im Himmel so auf Erden»

„Im Anfang ist der Schrei“, schreibt der in Mexiko lebende Marxist John Holloway und greift damit biblische Motive auf: „In einem Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Genesis 1,1). So setzt die Bibel mit einem visionären Text ein, der nicht eine Welterschaffung in ferner Vergangenheit, sondern die Zukunft unter einem Himmel beginnt, in der es keine milliardenschweren Herrscher mehr gibt, sondern nur Menschen ausnahmslos alle nach dem Bilde Gottes geschaffen. Eine Zukunft, die darum bedeutet: Alles für alle!
Auch die ersten Worte des Johannesevangeliums kommen in den Sinn, wenn man den Satz Holloways aus seinem Buch Die Welt verändern weiterliest: „Im Anfang ist der Schrei. Wenn wir schreiben oder lesen, vergessen wir schnell, dass im Anfang nicht das Wort ist, sondern der Schrei. Angesichts der Verstümmelung des menschlichen Lebens durch den Kapitalismus, ein Schrei der Trauer, ein Schrei des Entsetzens, ein Schrei des Zorns, ein Schrei der Verweigerung.“ Die täglichen Bilder aus Fernsehen und Internet drängen sich auf.

Von solchem Schreien, solcher Verstümmelung menschlichen Lebens, von Trauer, Entsetzen und Zorn, weiß Johannes, der auf Patmos seine Apokalypse schrieb ganz viel.
Apokalypse heißt „Enthüllung“: Gesehen und beschrieben wird die Lage von Menschen aus den messianischen Gemeinden, die brutal von der römischen Staatsmacht verfolgt werden.
Enthüllen tut Johannes in vielen Bildern die Art, wie die herrschende Ordnung funktioniert, wie sie handelt, wie sie das durch einen religiösen Götzenkult verbrämt. Und dann, wie Rom und seine ganze Macht zunichtewerden, wie die reichen Kaufleute, wunderbar und treffend beschrieben (Apokalypse 18,11ff.), die selbst mit den Leibern und Seelen der Menschen Handel betrieben, um das Ende ihrer bluttriefenden Geschäfte heulen werden.

Und dann bringt Johannes am Ende seiner Schrift diese fantastische Erzählung von einem Anfang, mit dem kein Jenseits gemeint ist. Sie wird in der Osterzeit gelesen: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen. Das Meer, ist nicht mehr“ (Apokalypse 21,1).
Himmel und Erde werden in der Bibel immer wieder zusammen genannt. Die erste Erde ist hier die Welt der Herrschenden, deren Bilder die herrschenden Bilder sind, die sich als „Söhne Gottes“ gebaren, die die angebliche „natürliche Ordnung“ verteidigen, deren Gott das höchste Wesen dieser Herrschaft ist. Ihr Gott oder ihre Götter verlängern ihre irdische Macht in den Himmel, dessen Ordnung und dessen Kult die irdische Herrschaft der Weltbesitzer für immer begründen soll.
Das ist die Erde, das ist der Himmel, das ist der Gott des Pharaos im alten Ägypten, des Kaisers im römischen Imperium, und der eines Donald Trump und eines Wladimir Putin – Prototypen von Herrschaft und von Götzen-Gottesglauben heute. – Biblische Texte wollen enthüllen, Menschen darauf stossen, wie Gott als höchstes Wesen für Mächtige funktioniert.

Die fantastische Erzählung der Bibel schlechthin ist die Erzählung vom Exodus, der Befreiung der Sklaven aus der Herrschaft Ägyptens und des Pharaos. – Auch das ist eine Erzählung von einem Anfang. Und deren Anfang ist tatsächlich das Schreien von Menschen.
In dieser fantastischen Erzählung heißt es, dass eine Stimme aus einem brennenden Dornbusch zu Mose spricht (Exodus 3): „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten sehr wohl bemerkt. Ich habe gehört, wie sie vor ihren Peinigern aufschrien. Ich kenne ihre Schmerzen. Deshalb bin ich heruntergekommen. Ich will sie aus der Gewalt Ägyptens retten, ich will sie aus diesem Staat hier hinausbringen in ein gutes und weites Land, ein Land, das von Milch und Honig trieft.“
Und dann offenbart sich die Stimme als NAME: „Ich bin da, weil ich da bin!“ Oder so: „Ich bin der Ich-bin-da.“
In diesem Grundtext Israels steckt eine unglaubliche revolutionäre Kraft. Die Exoduserzählung „stiftet Unglauben“, schreibt Dick Boer in seinem Buch Erlösung aus der Sklaverei. Sie entmachtet vor allem auch in den Köpfen der Menschen die Macht der Götter der Herrschenden, oder eines Gottes, der als höchstes Wesen nur die Verlängerung ihrer Macht in den „Himmel“ ist. Oder nur die Vergrößerung irdischer Machthaber.
JHWH, der NAME, tritt befreiend in den Kreis der Götter, sagt Boer, er bricht die Macht, die sie über Menschen ausüben – bis in alle möglichen Bereiche. Die Bibel erzählt quasi eine Rebellion und Revolution „im Himmel“. Der NAME entmachtet die höchsten Wesen, die Götter und Götzen. Der NAME ist der große Gottesleugner. Er stört die Ruhe auf dem Olymp der Götter und ihrer Potentaten und Oligarchen.

Die Richtung wird in der Bibel umgekehrt: Der Himmel ist nicht mehr die Verlängerung irdischer Herrschaft und etablierter Ordnungen, um diese Herrschaft zu verewigen, sondern umgekehrt: Die Revolution im Himmel durch den NAMEN will das „Angesicht der Erde erneuern“ (Pfingsten). Der NAME will die Wirklichkeit zu einer neuen Erde unter einem neuen Himmel machen. So geht diese fantastische Erzählung. Dick Boer: „Die Erzählung reißt ihre Hörer mit: Vom Himmel auf die Erde, von der Idee in die Materialität, von der Religion, die das Heil im Jenseits sucht, in die Politik, die das Heil im Diesseits finden will.“

„Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“: Mitten im Gebet aller Gebete, dem Vaterunser. Nicht der Wille des höchsten Wesens, das der Gott der Machthaber ist, sondern der Wille des NAMENS, der die Himmelsrevolution angezettelt hat, geschehe.
In diese Bewegung hinein gibt sich die fantastische Erzählung am Ende der Offenbarung des Johannes: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der erste Himmel, nämlich der der Götter, und die erste Erde (nämlich die der Mächtigen) ist vergangen… Auch Trauer, Wehgeschrei und Schinderei wird nicht mehr sein…“
Wunderbare Menschen haben aus der Kraft der fantastischen Erzählungen der Bibel ihr Leben gestaltet und Schritte auf eine andere Welt hin gewagt. Die Inspiration aus der Revolution im Himmel ist not-wendend.

Peter Bernd